Frauen und Macht
In unserer Gesellschaft haben Männer auf jedem Gebiet die ausschlaggebende Macht inne. Einzelne Frauen können natürlich sowohl Macht als auch Einfluß haben, doch Frauen in der Gruppe fehlt es an Macht und Autorität. Dieses Muster muß aufbrechen, wenn Schweden eine Demokratie sein will, die es wert ist, diesen Namen zu tragen.
Die formale Behinderung von Frauen, sich die Macht mit den Männern zu teilen, ist heute weg. Die Unterordnung der Frauen ist den Ansichten nach gesetzeswidrig. Doch nichtsdestoweniger ist sie eine Realität. Und es ist um diese Realität, hinter einer Fassade von scheinbarer Gleichberechtigung, wo die heutige Frauenkampagne steht.
Es liegt eine Gefahr in der Auffassung, Gleichberechtigung als geschlechtsneutral zu definieren. Mit Gleichberechtigung ist gemeint, daß Frauen und Männer gleiche Rechte auf Arbeit und wirtschaftliche Unabhängigkeit haben sollten, alle Möglichkeiten zur Vereinbarung von Arbeit und Familie, das Recht, einen Teil der politischen Macht abzubekommen u. s. w. Das ist unantastbar. Aber wenn man nicht das strukturelle Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern, in dem Männer Norm und Frauen Ausnahme sind, deutlich macht, riskiert man, daß die Gleichstellungspolitik eine Kulisse bleibt.
Aus internationaler Sicht haben Frauen in Schweden ein Stück erreicht auf dem Weg, die ungleichen Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern aufzubrechen. Doch es ist nicht die Gleichstellungsförderung, welche den relativen Erfolg erklärt. Die schwedische Nachkriegspolitik, womit eine Politik der Vollbeschäftigung, einen gut ausgebauten öffentlichen Sektor und ein allgemeines Wohlfahrtssystem gemeint ist, hat sich als einzigartig herausgestellt und von ausschlaggebender Bedeutung für die Frauen. Die sich vergrößernde Macht des Kapitals und die heutige Politik bedrohen die schwedische Gleichberechtigung.
Die Gleichstellungspolitik neigt dazu, gleichbedeutend mit erhöhter Frauenvertretung in den politischen Organen, mehr weibliches (...-) Leben, mehr Frauen als RegierungspräsidentInnen u. s. w. Die Konzentration auf die Frauenvertretung riskiert, die Tatsache zu verhüllen, daß die Beschneidungen und Veränderungen, welche im Wohlfahrtssystem vorgenommen werden, beständig die Bedingungen für tatsächliche Gleichheit zwischen Frauen und Männern verschlimmern.
Daß Frauen ihren Teil an der formellen Macht haben sollten, ist selbstverständlich. Dafür steht der Kampf um vermehrte Frauenvertretung ganz oben auf der Tagesordnung. Frauenvertretung vermochte selten auf freiwilliger Basis erreicht zu werden. Das Frauenwahlrecht ist ein Demokratie- und Gerechtigkeitserfordernis.
Geteilte Macht ist nicht nur eine Frage der Repräsentation. Sie ist ein staatsbürgerliches Recht beider Geschlechter, sich unter gleichen Bedingungen politisch zu beteiligen. Das ist der eigentliche Grund für Demokratie. Die zu beobachtende Verschiebung der Macht mißachtet Frauen und hütet eine Männerdomäne, und die Tatsache, daß Frauengruppen heutzutage ausschlaggebenden Einfluß sowohl auf die Wirschaftspolitik als auch auf staatlichem, regionalem und lokalem Niveau vermissen, zeigt, daß es an der Zeit ist für eine tiefere Analyse.
Es ist ebenso wichtig, die Gesetzgebung zu entwickeln. Die gegenwärtig geltende Gesetzgebung, wie zum Beispiel im Bereich der Lohndiskriminierung, erweist sich bei einer Prüfung als unzureichend. Die Gesetzgebung muß daher auf mehreren Gebieten verschärft werden. Doch die Gesetzgebung hat einen begrenzten Effekt, wenn es darum geht, männliche Machtstrukturen in der Gesellschaft aufzubrechen. Obwohl Frauen einen höheren Anteil am politischen Auftrag haben, besitzen die Männer in aller Regel noch immer die reelle Macht. Das Patriarchat lebt weiter durch zum Teil versteckte Mechanismen. Das Sichtbarmachen dieser Mechanismen und zu zeigen, wer der Bewahrung des Patriarchats dient, sind daher die wichtigsten Glieder im Kampf gegen Frauenunterdrückung.
Es sind schließlich die herrschenden Produktionsverhältnisse und die Entwicklung der Produktivkräfte, welche mit der Wirtschaftspolitik und der Wahl des Wohlfahrtssystems entscheidende Bedeutung für das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern erlangen. Vieles von dem, was zur schwedischen Wohlfahrt vereint wurde, wird aufgegeben zugunsten von Modellen, die zur Vergrößerung der Kluft zwischen arm und reich führen. So vergrößert sich auch die Kluft zwischen Frauen und Männern und zwischen verschiedenen Gruppen von Frauen. Die Gefahr ist somit, daß es sich bei der Gleichberechtigungsarbeit in erster Linie darum handelt, den Frauen aus Mittel- und Oberschicht Machtpositionen zu verschaffen. Die Mehrzahl von Frauen haben es schwer, eine Erwerbsarbeit zu finden, und sind gezwungen, sich weiter von einem Mann versorgen zu lassen und abhängig zu machen. Wenn sie Arbeit haben, bleibt es für sie schwer, Erwerbsarbeit und Haushalt zu vereinbaren.
Diese Entwicklung nicht zu stoppen, kann die Wahlmöglichkeiten dieser Frauen einschränken, entweder zuhause kostenlos gesellschaftliche und familiäre Reproduktionsarbeit zu leisten, oder steuerlich absetzbare Dienstmagd bei gutausgebildeten, hoch entlohnten Frauen zu bleiben, welche in unterschiedlichen Machtpositionen sitzen und die Interessen dieser Unterklassenfrauen ausnutzen. Die Distanz zwischen den Frauen, die formelle Macht innehaben und denen, welche diese nicht haben, kommt verstärkend dazu. Es scheint, als seien die gutausgebildeten und hochentlohnten Frauen bevorzugt. Doch auf lange Sicht ist es die Männergesellschaft, die gestärkt aus dieser Entwicklung hervorgeht.
©Angelika Friedrich, Jan. 2000
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