Frauen und Wohlfahrt
Frauen haben eine besondere Beziehung zum Wohlfahrtsstaat und dem öffentlichen Sektor. Frauen bedürfen eines wohl ausgebauten und funktionierenden sozialen Dienstes, damit sie überhaupt erwerbstätig sein können und damit wirklich wirtschaftlich unabhängig. Der öffentliche Sektor ist der größte Arbeitsmarkt für Frauen. Sie sind auch in besonderer Weise verantwortlich für die unsichtbare Arbeit, welche früher von Frauen unentlohnt zuhause ausgeführt wurde. Nach wie vor wird ein Großteil dieser unentlohnten Arbeit von Frauen ausgeführt.
Das Wohlfahrtssystem, welches in Schweden und den übrigen nordischen Ländern aufgebaut wurde, hat sich in vielerlei Hinsicht von anderen Wohlfahrtssystemen unterschieden. Einige Dinge sind besonders erwähnenswert. Verheiratete Frauen zählen als eigene Individuen in der Gesetzgebung, unabhängig von Mann oder Familie. Ein Beispiel hierfür ist die getrennte Steuerveranlagung, welche zu Beginn der 70er Jahre eingeführt wurde, und die Besteuerung des Einkommens verheirateter Frauen als selbständige Individuen mit eigener Versorgungsverantwortlichkeit.
Frauen in Schweden arbeiten erwerbsmäßig in gleich großem Ausmaß wie Männer. Erwerbstätig zu sein, wenn man kleine Kinder hat, ist weniger üblich in anderen Ländern, ebenso, daß gering ausgebildete Frauen erwerbstätig sind. Die Frauen in unserem Land arbeiten in ebenso hohem Ausmaß wie Frauen in anderen Ländern, doch Halbtagsarbeit hat bislang in erster Linie vollkommene soziale Sicherheit bedeutet, ebenso wie die Vollzeitarbeit. Starke Gewerkschaften haben dazu beigetragen, die Bedingungen für Voll- und Halbtagsanstellungen zu regeln und gleichzustellen.
Zwei Erklärungen gibt es dafür, daß Frauen in Schweden eine aus der internationalen Perspektive betrachtet relativ starke Stellung erzielt haben. Die eine ist die Politik für Vollbeschäftigung der Nachkriegszeit, wichtig für Gerechtigkeit im Großen, aber vor allem für Frauen. Bosonders weil diese Politik nicht dazu bestimmt war, Frauen zu gegünstigen, zeigte sie Wirkung. Der andere Grund für die Frauenbefreiung war ein wohl funktionierender, ausgebauter öffentlicher Sektor und ein generelles Wohlfahrtssystem.
Das schwedische Wohlfahrtssystem baut auf den Rechten und Verpflichtungen des Individuums auf. So, wie Stimmrecht und Gesetzesgleichheit, sollen gute Lebensbedingungen ein Recht für alle sein. Die Wohlfahrt wird via Steuerbescheid finanziert und soll umverteilend wirken und die Lebensverhältnisse zwischen den verschiedenen Gesellschaftsgruppen ausgleichen. Damit wirkt sie auch umverteilend zwischen Frauen und Männern.
Obhut, Fürsorge, Ausbildung und andere gesellschaftliche Rechte werden öffentlich finanziert und gehen aus von menschlichen Bedürfnissen, nicht von der Stärke derer Brieftaschen. Die gesamte Gestaltung des Wohlfahrtssystems baut auf dieser Bewertung auf.
Verschiedene Gesellschaftsinstitutionen haben den Aufbau der Wohlfahrt gestaltet und spielen eine große Rolle darin. Im Takt mit dem Ausscheiden von Frauen aus dem Arbeitsmarkt haben sie Kinder- und Altenfürsorge ausgebaut. Das vermehrte die Wahlfreiheit für alle.
In vielen Industrieländern baut die Wohlfahrt auf Versicherungsprinzipien auf, welche beinhalten, daß die Eintrittskarte via Anstellung vergeben wird. Man kann dies auch als Nützlichkeitsprinzip bezeichnen. Damit ist gemeint, daß die Versicherungsvorteile davon abhängen, wie viel man arbeitet und in das System einbezahlt. Wenn man keine Anstellung hat oder wenn die Anstellung nicht vollen Versicherungsschutz gibt, muß man eine private Versicherung haben. Ansonsten fällt man durch dieses grobmaschige Schutznetz. Dann muß die Familie einspringen. Die sozial- und familienpolitische Gesetzgebung nimmt daher ihren Ausgangspunkt in dem Prinzip, daß individuelle Bedürfnisse in der Familie befriedigt werden sollen. Hat man keine Familie, oder vermag die Familie die Bedürfnisse nicht zu befriedigen, so treten freiwillige Wohltätigkeitsorganisationen ein, wie z. B. die Kirche. Zunächst springt der Staat mit Unterstützung ein, und hier mit Entgeld auf sehr niedrigem Niveau. Dieses Wohlfahrtssystem baut darauf auf, daß Frauen die Versorgungsarbeit der Gesellschaft unbezahlt zuhause leisten, und daß sie eine sehr lose Anknüpfung an den Arbeitsmarkt haben.
In Schweden dominiert die Kürzungspolitik, unter anderem erzwungen von den sogenannten Konvergenzkräften der EU, wie daß unser Wohlfahrtsmodell vernichtet zu werden droht und den Modellen, die es in den übrigen EU-Ländern gibt, ähnlicher werden soll. In deren Entwicklung sind es insbesondere die Frauen, die in die Klemme geraten. Die Versorgungsarbeit überträgt sich immer mehr auf die Familie, mit anderen Worten auf dei Frauen. Deren Mäglichkeiten, zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit und dazu, zu den gleichen Bedingungen wie die Männer am Gesellschaftsleben teilzuhaben , sind gemindert.
Die Verteidigung des öffentlichen Sektors ist eine unserer zur Zeit wichtigsten Klassen- und Gleichstellungsfragen. Zuletzt geht es um den Kampf um Macht darüber, wie die Ressourcen der Gesellschaft verteilt werden sollten.
©Angelika Friedrich, Jan. 2000
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